Wenn Sprache zum Diskriminierungsfaktor im Recruiting wird

Auf den ersten Blick wirkt Recruiting wie ein rationaler Prozess: Anforderungen festlegen, Stellenanzeige veröffentlichen, Bewerbungen sichten, Interviews führen, Auswahl treffen. Doch diese Schritte werden durch einen unsichtbaren Filter beeinflusst: unsere unbewussten Denkmuster, auch Unconscious Bias genannt.
Ein Name, ein Foto oder ein „komisches Gefühl" im Gespräch – all das beeinflusst Personalentscheidungen, oft ohne dass wir es merken. Wir sortieren Kandidat:innen in „passend" oder „nicht passend" ein und greifen dabei unbewusst auf Stereotype zurück, die nichts mit der fachlichen Eignung zu tun haben. Ein solcher, oft unterschätzter Faktor ist die Sprache.

Recruiting

Sprache als unsichtbare Barriere

Ob Akzent, Dialekt oder eine nicht-standardsprachliche Ausdrucksweise: Studien belegen, dass Sprache die Wahrnehmung von Bewerber:innen maßgeblich beeinflussen kann. Eine aktuelle Meta-Analyse von Schulte, Basch, Hay & Melchers (2024) verdeutlicht, dass Bewerber:innen mit Akzent oder einer regionalen bzw. migrierten Sprachvarietät systematisch schlechter bewertet werden.

Dies betrifft vor allem zwei entscheidende Dimensionen im Recruiting:

  • Eingeschränkte Kompetenzwahrnehmung: Sie werden als weniger kompetent eingeschätzt, selbst wenn ihre fachlichen Qualifikationen mit denen von Bewerber:innen ohne Akzent identisch sind.
  • Geringere Einstellungswahrscheinlichkeit: Ihre sogenannte Hireability sinkt, da ihnen unbewusst weniger Potenzial zugeschrieben wird

Sprache wird damit zu einer unsichtbaren Hürde – nicht, weil die zu erledigende Aufgabe sprachlich nicht lösbar wäre, sondern weil Vorurteile in der Wahrnehmung mitschwingen und die Kandidat:innen automatisch weniger Kompetenz zugeschrieben bekommen, wenn sie nicht der sprachlichen Norm entsprechen.

Was Unternehmen konkret tun können

Die gute Nachricht ist: Es gibt klare Ansätze, wie Unternehmen sprachbedingte Diskriminierung im Recruiting gezielt reduzieren können.

1. Strukturierte Interviews nutzen: Standardisierte Fragen und Bewertungskriterien verringern die Gefahr, dass persönliche Eindrücke – etwa von Akzenten – das Urteil zu stark beeinflussen. Jede:r Kandidat:in wird nach den gleichen objektiven Maßstäben beurteilt.

2. Fachkompetenz in den Mittelpunkt stellen: Setzen Sie auf Arbeitsproben, Case Studies oder praktische Aufgaben. Diese Methoden erlauben eine objektive Einschätzung der Fähigkeiten und des Problemlösungsverhaltens, die unabhängig von sprachlicher Ausdrucksweise ist.

3. Sprachliche Anforderungen prüfen: Nicht jede Stelle erfordert muttersprachliche Perfektion. Oft reicht ein funktionales Sprachniveau, das für die Aufgaben der Stelle ausreicht. Alles darüber hinaus kann im Job weiterentwickelt werden. Es gilt zu überlegen: Welches Sprachniveau ist für die Kernaufgaben wirklich notwendig und welches ist „nice-to-have"?

4. Bewusstsein schaffen und trainieren: Trainings zu Unconscious Bias helfen dabei, eigene Denkmuster zu reflektieren. Entscheidend ist, dass Recruiter:innen Sprache nicht als „Qualitätssiegel", sondern als erlernbare Kompetenz betrachten.

5. Sprachförderung anbieten: Der Arbeitsplatz ist für viele internationale Fachkräfte der wichtigste Ort, um ihre Sprachkenntnisse auszubauen. Angebote wie Sprachkurse, Tandemprogramme oder gezieltes Feedback fördern die Integration und die langfristige Mitarbeiterbindung.

Sprache als Chance für Vielfalt nutzen

Angesichts des globalen Fachkräftemangels ist es kontraproduktiv, Talente aufgrund sprachlicher Merkmale auszuschließen. Sprache ist lernbar, Motivation, Potenzial und Erfahrung hingegen nicht immer.
Unternehmen, die sprachliche Vielfalt anerkennen und fördern, sichern sich nicht nur dringend benötigte Talente, sondern fördern auch eine dynamische, inklusive Kultur. Vielfalt im Team ist messbar lohnend und stärkt die Performance, die Teamdynamik und die Innovationskraft. Das belegen immer wieder Studien, wie die von McKinsey & Company oder die jährlich erscheinende Stepstone-Studie.

"Fazit"

Sprache darf im Recruiting nicht zur unsichtbaren Barriere werden. Bewusste Strukturen, objektive Assessments und ein klarer Fokus auf Diversität im HR-Management sichern den Zugang zu den besten Talenten und stärken den Unternehmenserfolg langfristig.

Autorin: Hannah Lene Ries

Quelle:
https://iaap-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/apps.12528
https://www.mckinsey.com/de/news/presse/2024-03-06-diversity-matters-even-more https://www.stepstone.de/content/de/de/downloads/2021/StepStone_Diversity-Report.pdf?msockid=05c80cc758e1654c338319ba592d6427

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