Zwischen Aufbruch und Erschöpfung – Wenn Teams ambitioniert starten und leise ausbrennen.

Viele Teams beginnen ihre Zusammenarbeit mit Energie, Motivation und einem gemeinsamen Ziel. Ob Start-up-Team, Projektgruppe oder gewachsenes Unternehmen im Wandel: Es geht um Aufbruch, Gestaltungsspielraum und den Wunsch, gemeinsam etwas zu bewegen. Genau darin liegt eine große Stärke, und zugleich ein unterschätztes Risiko.

Denn Teamarbeit bedeutet nicht nur kollektive Kreativität und geteilte Verantwortung, sondern häufig auch hohe Verdichtung von Arbeit, permanente Abstimmung, emotionale Dynamiken und unausgesprochene Erwartungen. In Phasen von Wachstum, Veränderung oder hoher Unsicherheit kann diese Belastung schleichend in Erschöpfung kippen – individuell und systemisch.

Ein hilfreicher Bezugsrahmen, um diese Entwicklung zu verstehen, ist das Burnout-Modell von Herbert Freudenberger (1974). Seine zwölf Phasen der Erschöpfung lassen sich nicht nur auf Einzelpersonen, sondern erstaunlich präzise auf Teams als soziale Systeme übertragen.

Emotionale Intelligenz

Die emotionale Dynamik in Teams

Am Anfang steht oft Euphorie:
Ein neues Projekt, ein neues Ziel, ein neues Team. Rollen sind noch flexibel, Engagement hoch, die Bereitschaft, „mehr zu geben“, groß. Man zieht an einem Strang, identifiziert sich stark mit der Aufgabe und möchte Erwartungen erfüllen von Kund:innen, Führungskräften oder sich selbst.

Diese kollektive Honeymoon-Phase ist wertvoll, birgt jedoch eine Gefahr:
Grenzen werden selten thematisiert. Pausen gelten implizit als verzichtbar, Belastung wird individualisiert („Da müssen wir jetzt alle mal durch“), Warnsignale werden nicht offen angesprochen.

Genau hier beginnt der schleichende Prozess, den Freudenberger als Einstieg in Burnout beschreibt – im Team oft getarnt als „hohes Commitment“ oder „Performance-Kultur“.

Freudenbergers 12 Phasen des Burnouts – übertragen auf Teams

Burnout entsteht selten abrupt. Es entwickelt sich in Phasen und diese zeigen sich im Team häufig subtil, aber deutlich:

1. Zwang, sich zu beweisen
Das Team will liefern, Erwartungen erfüllen, zeigen, dass es funktioniert.

2. Verstärkter Einsatz
Überstunden werden normalisiert, Erreichbarkeit steigt, Pausen fallen weg.

3. Vernachlässigung eigener Bedürfnisse
Individuelle Grenzen werden zugunsten des Teams übergangen.

4. Verdrängung von Konflikten
Spannungen, Fehler oder Überlastung werden nicht thematisiert.

5. Umdeutung von Werten
Beziehung, Austausch und Reflexion verlieren an Bedeutung, Leistung zählt mehr.

6. Leugnung von Problemen
„Das ist halt gerade eine stressige Phase.“ Verantwortung wird externalisiert.

7. Rückzug
Kommunikation wird funktional, Feedback seltener, echtes Miteinander nimmt ab.

8. Spürbare Verhaltensänderungen
Gereiztheit, Zynismus oder emotionale Distanz werden sichtbar.

9. Depersonalisierung
Teammitglieder funktionieren, identifizieren sich aber kaum noch mit der Arbeit.

10. Innere Leere
Erfolge werden nicht mehr gefeiert, Motivation sinkt, Sinn geht verloren.

11. Resignation
Ohnmacht, emotionale Erschöpfung, steigende Fehlzeiten.

12. Zusammenbruch des Systems
Kündigungen, Langzeiterkrankungen, Projektabbrüche oder massive Konflikte.

Studien zeigen, dass chronische Teamüberlastung die Wahrscheinlichkeit für individuelle Burnout-Symptome signifikant erhöht, insbesondere in leistungsorientierten, schlecht abgegrenzten Arbeitskontexten (Gallup, 2023; BAuA, 2024).

Teampsychologie: Warum kollektive Erschöpfung oft unbemerkt bleibt

Teams entwickeln eigene Normen:

Wie viel Einsatz „normal“ ist, wie über Stress gesprochen wird – oder eben nicht – und ob Schwäche gezeigt werden darf. Besonders kritisch wird es, wenn:
• hohe Identifikation mit Leistung besteht
• Verantwortung diffus verteilt ist
• psychologische Sicherheit fehlt
• Führung selbst unter Dauerstress steht

Psychologisch relevant sind hier u. a.:
• Overcommitment auf Teamebene
• soziale Ansteckung von Stress
• verdeckte Rollenkonflikte
• fehlende systemische Reflexion

Burnout ist dann kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck eines überlasteten Systems.

Drei zentrale Fachbegriffe im Teamkontext

Team Burnout:
Ein Zustand kollektiver emotionaler Erschöpfung, reduzierter Wirksamkeit und Distanz zur Arbeit.

Depersonalisierung im Team:
Zynismus, Gleichgültigkeit oder „Dienst nach Vorschrift“ als Schutzmechanismus.

Psychologische Unsicherheit:
Die Angst, Belastung, Fehler oder Grenzen offen anzusprechen – ein zentraler Risikofaktor.

Was Teams präventiv tun können

Nachhaltige Leistungsfähigkeit entsteht nicht durch „weniger Einsatz“, sondern durch bewusste Steuerung von Zusammenarbeit. Fünf wirksame Hebel aus der Praxis:

1. Gemeinsame Selbstbeobachtung
Belastung sichtbar machen – individuell und im Team (z. B. Arbeitsdichte, Kommunikation, Erholung).

2. Klare Strukturen & Pausen
Transparente Prioritäten, realistische Zeitrahmen, explizite Erholungsräume.

3. Psychologische Sicherheit fördern
Offene Gespräche über Belastung, Fehler und Grenzen ermöglichen.

4. Rollen & Verantwortung klären
Überforderung reduzieren durch klare Zuständigkeiten und realistische Erwartungen.

5. Systemische Begleitung nutzen
Externe Perspektiven helfen, Muster früh zu erkennen bevor Symptome chronisch werden.

“Fazit”

Teams sind leistungsfähig, kreativ und resilient – wenn sie nicht dauerhaft über ihre Grenzen arbeiten. Freudenbergers Modell ist keine Diagnose, sondern eine Möglichkeit präventiv sein Team zu unterstützen (Frühwarnsystem). Es zeigt, wie schleichend Erschöpfung entsteht und dass jede Phase die Möglichkeit zur Kurskorrektur bietet.
Wer Teams nicht erst bei Ausfällen oder Kündigungen unterstützt, sondern frühzeitig hinschaut, schützt nicht nur die Gesundheit der Einzelnen, sondern auch Zusammenarbeit, Innovationskraft und langfristige Stabilität des gesamten Systems.

Autorin: Ann-Katharin Lorenzen

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